Stories aus Bibel und Leben, Abendmahl am Küchentisch
Chatten statt schweigend zuhören? Persönliche Stories statt detailverliebter Abhandlungen auf der Kanzel? Abendmahl am Küchentisch? Segen für alle durch alle?
Gottesdienst, quo vadis? Wohin willst du gehen? Diese Frage haben sich die Mitarbeiter*innen des Michaeliskloster Hildesheim, dem Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik der Landeskirche Hannovers, und Gäste in einer Zukunftswerkstatt gestellt. Die gottesdienstliche Landschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Es sind neue Gottesdienstformate entstanden, die stärker thematisch und auf konkrete Zielgruppen ausgerichtet sind. Hinzu kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die gottesdienstliche Begegnungen zunehmend ins Digitale verschoben haben.
Etliche Gäste halfen dem Team des Michaelisklosters dabei, den Herausforderungen und Chancen des Gottesdienstes näher zu kommen. Sie weiteten den Blick dafür, was außerhalb der Landeskirche Hannovers in einzelnen Gemeinden bzw. in neuen Netz-Communities passiert. So waren Theresa Brückner und Andrea Kuhla aus Berlin vom digitalen Gottesdienst-Format „Brot&Liebe“ dabei. Sie zeigten u.a. die Chat-Funktion der sozialen Medien als Glücksfall für die Partizipation der Teilnehmer*innen im Gebet auf und brachten die Methode des Storytellings als Möglichkeit ein, authentisch und dabei biblisch fundiert zu verkündigen. Pastor Michael Greßler aus Leislau in Thüringen schilderte seinen Erfahrungen aus dem Projekt „Mobile Kirche“, mit der er seine Gemeindemitglieder in 32 kleinen Gemeinden, zum Teil auch vor der Haustür, besucht. Pfarrer Steffen Paar aus Sülfeld in Schleswig-Holstein stellte seine monatlich wechselnden Kunstinstallationen im Kirchraum vor. Der Gospelreferent der Landeskirche Hannovers, Jan Meyer, berichtete von seinen Erfahrungen mit Musik in den digitalen Medien. Meyer zeigte auf, dass auch gottesdienstliche Hybrid-Formate liturgisch gelingen können und musikalische Partizipation mit Anleitung vor dem Bildschirm möglich ist.
Licht des guten vollen Lebens
Die Pastorin und Privatdozentin Dr. Julia Koll aus Uelzen reflektierte die veränderte Gottesdienstlandschaft während der Corona-Pandemie in ihren spezifisch liturgischen, homiletischen und kirchenentwicklerischen Aspekten. Professor Dr. Ralph Kunz aus Zürich sieht in der Pandemie eine „kritische Chance“. So erschließe sich der Gottesdienst wieder als Ort, an dem Menschen Licht und Trost erfahren: Die Bibel, die im Gottesdienst gehört und ausgelegt wird, enthalte „Visionen des guten, heil werdenden Lebens“. Bruchstellen unserer Existenz sollten und dürften im Gottesdienst ihren Ort haben (z.B. Klage). Die Pandemie habe vor Augen geführt, wie gerade im Dunkel das Licht des guten vollen Lebens in Gebet, Verkündigung und Segen durchdringe.
Was bleibt nach drei Tagen Nachdenken über das Herzstück der Kirche?
Jochen Arnold, der Direktor des Michaelisklosters, sagt über den Gottesdienst der Zukunft: „Er muss sich inhaltsreich treu bleiben und doch neu gefüllt werden. Eine Rückkehr zum Normalen wie vor Corona wird und soll es wohl nicht geben.“ Das In- und Miteinander von Musik und Wort sei leichter und flüssiger geworden. Predigten müssten in Zukunft (noch) kürzer und knackiger werden und sich mit Musk abwechseln. Die Liturgie könne prägnanter werden, ohne dabei auf das Traditionelle ganz zu verzichten. Traditionelle Elemente erschließen sich plötzlich in ihrem Sinn, wenn sich Menschen den liturgischen Gruß oder Segen in Gruppen zusagen.
Mehr geistliches Leben in den Kirchen
Das Abendmahl könne in pandemischen Zeiten verschieden gefeiert werden, so Arnold: „Zu Hause am Wohnzimmer- oder Küchentisch, wenn es eine getaufte Person leitet, digital unter Leitung eines Pastors oder einer Prädikantin und in Präsenz unter Einhaltung der Corona-Hygienevorschriften, möglichst mit Einzelkelchen.“
Neu entdeckte Möglichkeiten und Chancen der digitalen Formate sollen weiter befördert werden. Eine Chance sieht Arnold etwa in den Möglichkeiten der Beteiligung der Gemeinde, z.B. mithilfe der Chatfunktion, die man für die Formulierung von Fürbitten einsetzen kann.
Die Mitarbeiter*innen prüfen, inwieweit diese neuen Erfahrungen auch auf Präsenzgottesdienste in Kirchen oder an anderen Orten übertragbar sind. Das Ziel ist es, dass auch dort noch mehr geistliches Leben entsteht. Digitale und virtuelle Formate können sich bereichern und müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Gottesdienstfeierndern möchten Teil des Ganzen sein
Eine weitere Erkenntnis: Vorbereitungsteams bleiben wichtig. Technik, Musik und Verkündigung im Gottesdienst bedürften jeweils eigener Expert*innen. Qualität spielt für alle Bereiche eine große Rolle. Hier zu schulen und fortzubilden, ist bleibende Aufgabe des Michaelisklosters. Marianne Gorka, stellv. Leiterin des Klosters, sagt dazu: „Das Gesamtgeschehen rückt viel stärker ins Bewusstsein. Eine einfühlsame und prägende Bildsprache will gefunden und gestaltet werden. Wie kann dem Glauben angemessen und zeitgemäß Raum, Bild und eine eigene Sprache gegeben werden, das bleibt auch zukünftig die leitende Frage. Menschen möchten heute nichts vorgesetzt bekommen, sondern mitwirken, mitreden und mitgestalten, mehr Teil des Ganzen sein.“ Marianne Gorka plädiert dafür, die Mündigkeit der Gottesdienstfeierndern zu fördern. Der Auftrag des Michaelisklosters sei es, sie zu ermutigen, zu Hause Gottesdienste zu feiern. Außerdem könne das Kloster-Team dabei helfen, Rituale neu zu entdecken.
So bleiben bei allen Fragen vor allem die Lust und Neugierde der Werkstattteilnehmer*innen den Gottesdienst der Zukunft weiterzudenken. Und die Zuversicht, ihn – als Zentrum der Hannoverschen Landeskirche mit großer Reichweite - mitgestalten zu können.
Im nächsten Jahr soll eine öffentliche Zukunftswerkstatt folgen. Ihr Ziel sind Thesen und Verabredungen, die die weitere Arbeit am „Fest des Lebens“ leiten sollen.