Im Gottesdienst der Zukunft: Was sollte bleiben, was verblassen?
Nichts muss bleiben. Außer die Sehnsucht. Und für die gibt es unterschiedliche Formen. Sie fühlt sich zu Gregorianik oder Lobpreis hingezogen, für manche leuchtet sie im Vater Unser auf, für andere in einer Berührung. Ich wünsche mir mutiges Loslassen und dann sehen, was kommt, was bleibt.
Wie erklären Sie die Kluft, zwischen den vielen kreativen Formaten, die wir intern im Raum Kirche wahrnehmen und dem drögen Image der Kirche in großen Teilen der Gesellschaft?
Ehrlich? Solange „neues Kirchenlied“ die Neunzehnhundertsiebziger mit einschließt, ist es kein Wunder, wenn Kirche für Viele nicht der Ort ist, wo sie ihre Sehnsucht stillen. Das örtliche Yogastudio wirkt oft einladender als ein Gemeindehaus. Auf einem Filmfestival wurde mal ein Regisseur gefragt, ob er mit seinem Film die Leute nicht überfordere. Seine Antwort könnte oft auch für Kirche gelten: „Never underestimate the audience.“
Wenden sich viele Christen zu Recht von der Kirche ab oder haben sie den Blick für den Glauben, vielleicht auch an Tiefe verloren?
Letzteres weiß ich nicht, ich glaube es aber nicht. Ich denke, dass Menschen nicht mehr aus alter Loyalität bleiben, sondern dorthin gehen, wo sie etwas berührt, erfüllt, bewegt. Und das scheint immer weniger Kirche zu sein. Aber – so what? Muss Kirche denn groß sein? Wenn wir feiern, wofür wir wirklich brennen und nichts aus Gewohnheit festhalten, dann glaube ich daran, dass auch andere wieder ans Feuer kommen werden.
Wenn Sie von Atheisten oder zweifelnden Christen gefragt werden: „Wozu Kirche, Glaube, Gott?“ Was antworten Sie?
Weil es schön ist. Und wenn es nicht schön ist, muss man suchen, bis man findet.
Was kann die Kirche, der Glaube an Gott, was ein Fußballverein, eine Laienschauspielgruppe, eine als sinnstiftend empfundene Arbeit in einem guten Team nicht kann?
Keine Ahnung. Vielleicht sollte sie aufhören, zu vergleichen. Vergleiche machen ja meistens neidisch, ratlos oder unglücklich.
Geben Sie der Kirche eine Chance, aus Ihrer Nische wieder herauszukommen oder bleibt sie ein Special-Interest-Thema?
Ich schätze, sie wird noch mehr zum Special-Interest-Ort. Aber das können ja ziemlich spannende Orte sein.
Ist es nötig, dass die Kirche aufgeregt Zukunftsprozesse startet und kreative Projekte aus dem Boden stampft oder darf sie vielleicht auch selbstbewusst schrumpfen?
Wenn jemand verliebt ist, dann ist es ganz unerträglich, wenn diese Person alles dafür tut, um zu gefallen. Das wird doch sowieso nichts. Liebenswert wirkt, wer auf eine selbstvergessene Art strahlt und gleichzeitig nicht von allen geliebt werden will. Wie strahlt man? Indem man tut und verkörpert, was man liebt.
In den sozialen Medien können wir talarumhangenen Pfarrer:innen folgen, die High Heels tragen und sich mit ihren Menstruationstassen fotografieren, die ihre Community an persönlichen Schicksalsschlägen teilhaben lassen und auf individuelle Gedankenreisen mitnehmen. Ist das einfach nur Selbstdarstellung oder notwendige Vermittlungsarbeit von Kirche? Besteht die Gefahr, dass die Kirche über die Masse an Inhalten in den sozialen Medien sich im Mainstream und damit an Profil verliert?
Manchmal glaube ich, dass von den Kritiker*innen Verbindung mit Verkündigung verwechselt wird. Natürlich ist nicht jede Menstruationstasse Verkündigung, aber sie kann Verbindung schaffen. Wie auch das Müsli am Morgen, das Grübeln über Alltäglichkeiten, der Frust über zu viel Stress, ein neues Tattoo, ein schnell getipptes Gebet und vieles andere das Gefühl von Gemeinschaft vermitteln kann. Nicht allein auf weiter Flur zu sein, sondern zu wissen: Irgendwo 500 Kilometer nördlich oder südlich gibt es andere, die auch von einer anderen Kirche träumen. Natürlich mag ich nicht alle Accounts, finde manches belanglos, selbstverliebt oder moralisch. Aber niemandem muss alles gefallen und niemand muss allen gefallen. Das gilt für Menschen – und für die Kirche sowieso.