Michaelisklloster: Worin liegt die Chance von persönlichen Predigten?
Kathrin Oxen: Menschen interessieren sich für andere Menschen, nicht zuallererst für theologische Sachinformationen und noch weniger mögen sie Diagnosen ihrer eigenen Situation und Befindlichkeit. Das ist die Chance der Predigt, als Äußerung einer an Gott glaubenden Person wahrgenommen zu werden, die Identifikation und Orientierung bietet.
Storytelling bzw. das Erzählen persönlicher Geschichten ist über alle Medien und Genres hinweg zum Nonplusultra geworden. Sollte sich eine Predigt dem Zeitgeist fügen?
Ich sehe das nicht als Zeitgeist, sondern als eine notwendige Entwicklung auch im Bereich der Predigt. Gleichzeitig ist eine persönliche Predigt, bei der die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Person zur Sprache kommen, auch eine Versorgemaßnahme gegen ein oftmals noch wahrnehmbares Machtgefälle zwischen predigender Person und Gemeinde. Ich bin keine Expertin, die über den Dingen, auch den Glaubensdingen steht, sondern ich bin, was meine Glaubens- und Lebenserfahrungen angeht, auf Augenhöhe mit meinen Hörer:innen. Das sollte in einer Predigt spürbar werden.
Gibt es ein "zu viel" an persönlichen Botschaften?
Es wird da problematisch, wenn eigene Erfahrung unreflektiert und unverarbeitet eingebracht werden. Wer persönlich predigt, muss besonders gut überlegen: Was löst das, was ich sage, jetzt aus? Könnte es den Hörenden unangenehm sein, machen sie sich Sorgen um mich, ist es „too much information“. Gerade traumatische persönliche Erfahrungen können außerdem in ihrer Wirkung nicht beherrschbar sein, wenn sie bei den Hörenden ähnliche Erfahrungen berühren. Auch die Sprache muss sich dieser Herausforderung anpassen, sie bleibt dann vielleicht eher im Modus der Andeutung.
Wenn die Exegese in den Hintergrund tritt und persönliche Biografien und Erfahrungen in den Vordergrund: Besteht die Gefahr der Verflachung des Gottesdienstes?
Nein, denn die persönliche Dimension tritt ja neben die Dimension des Textes und der Situation. Es geht beim persönlichen Predigen darum, sich der Kraft der persönlichen Dimension neu bewusst zu werden und sie in das sensible Gefüge des sog. "Homiletischen Dreiecks" aus Text, Situation und Person geleichwertig einzufügen. Als Kontrollfrage könnte man formulieren: Wo bin ich eigentlich in meiner Predigt?
Wo verläuft der schmale Grat zwischen "persönlich" und "privat"?
Ich entscheide, was ich in meiner Predigt von mir mitteile. Ich muss bedenken, was meine Äußerungen bei den Hörenden auslösen könnten. Bediene ich möglicherweise "voyeuristische" Interessen der Gemeinde, verletze ich Schamgrenzen? Fängt man an, sich Sorgen um mich zu machen? Das wären Fragen, die ich mir bei dieser Unterscheidung stellen würde.